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Heilpädagogisches Reiten: freiberufliche Tätigkeit?

Frage

Ich möchte heilpädagogisches, psychomotorisches und psychotherapeutisches Reiten (Ausbildungen: Erzieherin + Heilpraktiker Psychotherapie nach HPG) anbieten, und zwar mit meinen eigenen Pferden. Kann diese Tätigkeit als freiberuflich eingestuft werden oder liegt ein Gewerbe vor? Wie liegt der Fall, wenn ich mit meinen Pferden geführte Wanderreit-Touren anbiete?

Antwort

Nach Gesetzeslage, Rechtsprechung und Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen zählt Reittherapie nicht zu den freien Heilberufen im steuerlichen Sinne. Beachten Sie hierzu bitte das Folgende:

Die krankengymnastische Reittherapie (Hippotherapie) kann nicht als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet werden. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) heute (20.06.2006) in Düsseldorf. Es gibt keine zuverlässigen Aussagen, die den zusätzlichen Nutzen und die medizinische Notwendigkeit der Hippotherapie im Vergleich zu bereits angewandten Heilmitteln belegen. Gesetzlich versicherten Patienten stehen die anerkannten Methoden der Physiotherapie zur Verfügung, so dass hier keine Versorgungslücke vorliegt. Die Hippotherapie wird als krankengymnastische Behandlung mit und auf dem Pferd definiert. Davon abzugrenzen ist das therapeutische Reiten, das der G-BA nicht überprüft hat. Der Beschluss wird dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zur Prüfung vorgelegt und tritt nach erfolgter Nichtbeanstandung nach der Bekanntmachung im Bundesanzeiger in Kraft. Der Beschlusstext sowie eine entsprechende Erläuterung und ein zusammenfassender Bericht sind im Internet auf der Seite www.g-ba.de (www) veröffentlicht.

Hintergrund "Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)":
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Er bestimmt in Form von Richtlinien den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für etwa 70 Millionen Versicherte. Der G-BA legt fest, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der GKV erstattet werden. Rechtsgrundlage für die Arbeit des G-BA ist das fünfte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V). Den gesundheitspolitischen Rahmen der medizinischen Versorgung in Deutschland gibt das Parlament durch Gesetze vor. Aufgabe des G-BA ist es, innerhalb dieses Rahmens einheitliche Vorgaben für die konkrete Umsetzung in der Praxis zu beschließen. Die von ihm beschlossenen Richtlinien haben den Charakter untergesetzlicher Normen und sind für alle Akteure der GKV bindend.

Bei seinen Entscheidungen berücksichtigt der G-BA den aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse und untersucht den diagnostischen oder therapeutischen Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit einer Leistung aus dem Pflichtkatalog der Krankenkassen. Zudem hat der G-BA weitere wichtige Aufgaben im Bereich des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung in der ambulanten und stationären Versorgung. Weitere Informationen finden Sie unter www.g-ba.de (www)

Reittherapie als unterrichtende Tätigkeit: Allerdings kann bei Reittherapie eine so genannten "unterrichtende Tätigkeit" vorliegen, wenn die folgenden Voraussetzungen gegeben sind: zur freiberuflichen Tätigkeit gehört auch die selbstständig ausgeübte "unterrichtende" Tätigkeit, wobei als "unterrichtend" jede Art der persönlichen Lehrtätigkeit, insbesondere auch der Unterricht im Tanzen, Schwimmen, Reiten usw. gehört (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 18. Februar 1920 II A 59/20, RStBl. 1920, 244; BFH-Urteil vom 27. September 1956 IV 601/55 U, BFHE 63,357, BStBl. III 1956, 334). Beschränkt sich die Tätigkeit allerdings nicht auf das Vermitteln von Fertigkeiten, sondern werden im Zusammenhang mit der Unterrichtstätigkeit auch noch andere Leistungen geboten, so kann je nach Art und Umfang dieser anderen Leistungen insgesamt eine gewerbliche Betätigung vorliegen. Das gilt bei der Erteilung von Reitunterricht vor allem für die Fälle, in denen neben der Unterrichtserteilung auch noch Reitanlagen zur Verfügung gestellt sowie Clubräume und dergleichen bereitgestellt werden. BFH IV R 191/74, 1978

"Unterricht ist die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Handlungsweisen und Einstellungen durch Lehrer an Schüler in organisierter und institutionalisierter Form"(vgl. BFH-Urteile vom 13. Januar 1994 IV R 79/92, BFHE 173, 331, BStBl II 1994, 362, und vom 18. April 1996 IV R 35/95, BFHE 180, 568, BStBl II 1996, 573).

Die organisierte und institutionalisierte Form des Unterrichts setzt u. a. ein auf ein bestimmtes Fachgebiet bezogenes schulmäßiges Programm zur Vermittlung von Kenntnissen an den/die Lernwilligen voraus. Dies schließt einen Individualunterricht zwar nicht aus, wie sich auch aus den Urteilen des IV. Senats zum Fitness- und Bodybuilding-Studio ergibt (vgl. Urteile in BFHE 173, 331, BStBl II 1994, 362, und in BFHE 180, 568, BStBl II 1996, 573). In diesen Fällen wird bei der Durchführung eines nach Lehrziel und Lehrmethode feststehenden Programms - Training des Körpers unter Zuhilfenahme von Geräten - der Unterricht auf die besonderen Bedürfnisse des einzelnen abgestellt. Lassen sich jedoch Kenntnisse nicht aufgrund eines für das bestimmte Fachgebiet allgemeingültigen, im Einzelfall abwandlungsfähigen Lehrprogramms vermitteln, sondern erfordert die Tätigkeit die Erarbeitung und Entwicklung eines auf die speziellen Bedürfnisse einer Person abgestellten, nicht auf einen Fachbereich beschränkten Programms, so stellt dies keine Lehrtätigkeit in organisierter und institutionalisierter Form mehr dar. Es handelt sich hierbei um eine beratende Tätigkeit.

Eine wissenschaftliche Fachausbildung oder ein formaler Befähigungsnachweis ist für eine unterrichtende Tätigkeit im Allgemeinen nicht erforderlich. Entscheidend ist, dass der Unterrichtende die sein Unterrichtsgebiet betreffenden Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, sowie die Fähigkeit, diese den Schülern zu vermitteln (BFH IV R 130/79 v. 1. 4. 1982, BStBl. II 82, 589 = BFHE 136, 86). Schreibt jedoch das öffentliche Berufsrecht einen bestimmten Befähigungsnachweis oder eine behördliche Zulassung vor, so spricht eine Vermutung dafür, dass beim Fehlen des Nachweises oder der Zulassung der Unterrichtende die erforderlichen Fähigkeiten nicht besitzt.

Wenn das auf sie zutrifft, zeigen Sie beim zuständigen Finanzamt die Aufnahme einer freiberuflichen ("selbstständigen") Tätigkeit an.

Bei den geplanten Wanderreit-Touren handelt es sich nicht um eine freiberufliche Tätigkeit, es sei denn, sie entsprechen der o.g. Definition einer unterrichtenden Tätigkeit.

Quelle:
Dipl.-Sozialw. Irene Hohlheimer
Institut für Freie Berufe an der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg e.V. (IFB)
August 2013

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