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Ingenieur: selbständiger Nachhilfelehrer?

Frage

Wäre es mir möglich, mich als studierter Ingenieur als Nachhilfelehrer (Mathe /Physik/ Präsentationshilfe) selbständig zu machen? Wenn ja, müsste ich mich als Freiberufler melden?

Antwort

Lassen Sie mich die Schlussfolgerungen zu Ihrer Anfrage vorwegnehmen: Wie die Rechtsprechung lehrt, können Nachhilfelehrer als gewerblich eingestuft werden. Nach dem Einkommensteuerrecht bzw. der relevanten Rechtsprechung wären Sie als Freiberufler anzusehen. Da die Rechtsprechung zum Gewerberecht jedoch für eine „Dienstleistung höherer Art“ einen Hochschulabschluss SOWIE Unterricht fordert, der nicht auch etwa von Studierenden geleistet werden kann, gibt es hier wohl ein Problem. Dass es zu diesem Themenkomplex unterschiedliche juristische Lehrmeinungen gibt, sei hier nicht verschwiegen. Sie sollten mit Ihrem Finanzamt sprechen, das auch eine beratende Funktion hat! Fordern Sie den Freiberuflerstatus ein, der nach vorliegenden Erfahrungen in vergleichbaren Fällen häufig zugebilligt wird. So kann ein komplexer Sachverhalt auf eine überschaubare Statusfeststellung reduziert werden.

Zur Begründung: Unterricht ist nach der Auffassung im Einkommensteuerrecht die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Handlungsweisen und Einstellungen durch Lehrer an Schüler in organisierter und institutionalisierter Form. Diese Art des Unterrichts setzt vor allem ein auf ein bestimmtes Fachgebiet bezogenes schulmäßiges Programm voraus. Erfordert die Tätigkeit die Erarbeitung und Entwicklung eines speziell auf die Bedürfnisse einer Person abgestellten, nicht auf einen Fachbereich beschränkten allgemeingültigen, im Einzelfall abwandlungsfähigen Lernprogramms, so stellt dies keine Lehrtätigkeit in organisierter und institutionalisierter Form mehr dar. Hierbei handelt es sich vielmehr um eine beratende Tätigkeit. Eine wissenschaftliche Fachausbildung oder ein formaler Befähigungsnachweis ist für eine unterrichtende Tätigkeit im Allgemeinen nicht erforderlich. Entscheidend ist, dass die Unterrichtende die ihr Unterrichtsgebiet betreffenden Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, sowie die Fähigkeit, diese den Schülern zu vermitteln. Der Unterricht kann auch individuell erteilt werden. Die Wissensvermittlung muss jedoch auf einem allgemeinen Lehrplan basieren und nicht der Lösung persönlicher Probleme der Unterrichteten dienen. Von dieser Regelung ist insbesondere auch der Nachhilfeunterricht erfasst.

Jedoch kann Im Einzelfall die Finanzverwaltung die Freiberuflichkeit akzeptieren, während das Gewerbeamt eine Gewerbeanmeldung fordert. Die Begründung aus der Sicht der Gewerbebehörden lautet: Eine „Dienstleistung höherer Art“ liegt nur dann vor, wenn für die Ausübung der Tätigkeit ein einschlägiges Hochschul- oder Fachhochschulstudium erforderlich ist. Für den Nachhilfeunterricht etwa wird dies nach vorherrschender Meinung verneint. Nachhilfe könne nach dieser Auffassung etwa auch von Studenten oder fortgeschrittenen Schülern erbracht werden: Ein solcher Unterricht ist deshalb gewerberechtlich weder inhaltlich noch vom Lehrpersonal als „Dienstleistung höherer Art" anzusehen.

Zitat aus der Rechtsprechung: „Dienstleistungen höherer Art, die eine ´höhere Bildung´ erfordern, fallen nicht unter den Gewerbebegriff der Gewerbeordnung. Unter ´höherer Bildung´ in diesem Sinne ist grundsätzlich ein abgeschlossenes Hochschul- oder Fachhochschulstudium zu verstehen.“ BVerwG, Urteil vom 01.07.1987, 1 C 25.85

Somit wäre Ihr Nachhilfeunterricht gewerblich, Sie als Nachhilfelehrer würden die Voraussetzungen für die „Dienstleistung höherer Art“ erfüllen.

Wenn Sie im Internet recherchieren, werden Sie häufig das Argument finden, Nachhilfeunterricht sei von der Erfassung durch die Gewerbeordnung ausgeschlossen. In dieser Gewerbeordnung „§ 6 GewO - Anwendungsbereich“ steht geschrieben: „(1) 1 Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf …, die Erziehung von Kindern gegen Entgelt, das Unterrichtswesen, …“ Jedoch gilt diese Bestimmung etwa für Ihr Bundesland Baden-Württemberg nur für „landesrechtlich geregeltes Unterrichtswesen“. Private Nachhilfe wird also von der Gewerbeordnung erfasst.

Nach vorliegenden Erfahrungen kommt es häufig vor, dass selbstständig Lehrende dem Finanzamt einen freien Beruf anzeigen und dabei von einer Freistellung vom Gewerbe ausgehen. Oft werden auch Anmeldungen von (vermeintlichen) Freiberuflern bei den Finanzämtern ohne nähere Prüfung akzeptiert. Betroffene Personen gehen dann ebenso häufig wie fälschlich von einer Anerkennung als Freiberufler aus. Wenn Sie sich trotz Unsicherheit als freiberuflich (im Steuerdeutsch: selbstständig) beim Finanzamt anmelden, so ist dies unschädlich, so lange nicht eine Betriebsprüfung nachträglich ein Gewerbe feststellt. Eine Sicherheit für die Einstufung als Freiberufler im steuerlichen Sinne gibt nur die so genannte „verbindliche Auskunft“ des Finanzamtes. Eine derartige Festlegung der Finanzverwaltung ist jedoch mit hohen Anforderungen und Kosten verbunden.

Sollten die vorstehenden Erläuterungen für Sie nur schwer nachvollziehbar sein, so kann ich Ihnen nur beipflichten.

Beachten Sie bitte noch die Pflichtversicherung von Lehrenden in der gesetzlichen Rentenversicherung. Nähere Informationen erhalten Sie bei der Deutschen Rentenversicherung.

Quelle: Dr. Willi Oberlander
Unternehmensberatung
Juni 2018

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