Antwort
Für die Zuordnung der Softwareentwicklung zu den freien Berufen gibt es zwei mögliche Zugänge: Über den beratenden Betriebswirt und den Ingenieur- bzw. ingenieurähnlichen Beruf.
Die Ausführlichkeit dieser Antwort liegt in der grundsätzlichen Bedeutung der vorliegenden Fragestellung begründet in der Verbindung mit der Tatsache, dass es sich hier um ein Berufsfeld von erheblicher fachlicher und auch wirtschaftlicher Bedeutung handelt. Weiterhin kommt im Folgenden zum Ausdruck, dass die relevante Rechtsprechung gerade im IT-Bereich nicht mit der Entwicklung der Dienstleistungen Schritt halten kann. Wir haben es hier eher mit einem rechtlichen Bezugsrahmen als mit Bezugspunkten zu tun. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Rechtsprechung von Ingenieuren, Informatikern, Wirtschaftsingenieuren oder Wirtschaftsinformatikern die Rede ist, kaum jedoch von Absolventen betriebswirtschaftlicher Studiengänge. Besonders interessant ist deshalb in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung zu den Autodidakten im IT-Bereich.
Um es auf den Punkt zu bringen: Sie müssen nachweisen können, dass Ihre Dienstleistung als Softwareentwickler nach Kenntnissen und Erfahrungen mit Anforderungen verbunden ist, die üblicherweise von Informatikern oder Ingenieuren (Wirtschaftsingenieuren) mit Hochschulabschluss erbracht wird. Der im Folgenden dargelegten Rechtsprechung können Sie nähere Hinweise entnehmen, unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist.
Obwohl Softwareentwicklung in erheblichem Umfang betriebswirtschaftliche Kenntnisse und Erfahrungen erfordert, wird eine Begründung der Freiberuflichkeit auf diesem Weg schwierig sein. Immerhin gibt es ein Urteil des Finanzgerichts München: (Zitat) Bei einer Gesamtbetrachtung stellt sich die Tätigkeit des Klägers in den Streitjahren deshalb letztlich im Wesentlichen als nichts anderes dar, als die Entwicklung mittels betriebswirtschaftlicher Methoden gefundener Lösungen für unternehmerische Problemstellungen auf dem Gebiet des Rechnungswesens und/oder Vertriebs bei der Einführung eines bestimmten oder von ihm als geeignet zu ermittelnden Anwendersoftware-Produktes. (Zitatende) FG München, Urteil vom 22.07.2005 (Az. 8 K 2286/05)
Damit ist nach Auffassung des Gerichts die Tätigkeit eines EDV-Beraters einem dem beratenden Betriebswirt ähnlichen Beruf im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zuzuordnen. Hierzu ist weiter anzumerken, dass dieses Urteil eine geringe Bindungswirkung hat, zumal in fraglicher Sache der Steuerpflichtige zwar Diplom-Betriebswirt (FH) war, jedoch an der Fachhochschule den Studiengang „Organisation, Datenverarbeitung, Wirtschaftsinformatik“ absolviert und damit einen deutlich stärkeren Bezug zur Softwareentwicklung hatte als andere BWL-Absolventen. Als Argumentationshilfe gegenüber der Finanzverwaltung mag dieses Urteil immerhin nützlich sein.
Kommen wir zur Ingenieurähnlichkeit: Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) darf als Ingenieur nur gelten, wer aufgrund eines Studiums an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer Fachhochschule, einer Ingenieurschule (Bergschule) befugt ist, die entsprechende Berufsbezeichnung zu führen. Ein Informatiker kann eine dem Ingenieur ähnliche Tätigkeit ausüben. Doch bedarf es dafür einer entsprechenden Ausbildung. Auf eine dem Ingenieurberuf ähnliche Tätigkeit kann sich also nur berufen, wer über einen einschlägigen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss verfügt und/oder Kenntnisse nachweist, die in Tiefe und Breite mit dem Wissen der entsprechenden Studiengänge vergleichbar sind (BFH, Urteil vom 30.08.2011, Az.: 13 K 856/09 G und BFH, Urteil vom 16.09.2014 - VIII R 8/12). Eine ingenieurähnliche Tätigkeit setzt in diesen Fällen also voraus, dass sie in ihren wesentlichen Elementen dem Beruf des Ingenieurs gleichwertig ist, und zwar sowohl in der Theorie (Ausbildung, Kenntnisse, Qualifikation) als auch in der Praxis. Autodidakten müssen Kenntnisse und Erfahrungen in allen Kernbereichen des Ingenieur- bzw. Informatikerberufes nachweisen - ansonsten ist mit der Zuordnung zum Gewerbe zu rechnen. Als Beweismittel gelten Fortbildungen, Selbststudium, praktische Arbeiten oder eine so genannte „Wissensprüfung“. Erforderlich sind vor allem auch Kenntnisse in den Bereichen Mathematik, Statistik und Operations Research (dies mag etwas verwundern, wurde so aber höchstrichterlich festgestellt - BFH, Urteil vom 16.09.2014 - VIII R 8/12).
Rechtsprechung zur Frage der Ähnlichkeit:
- Urteil in der Sache eines Autodidakten
(Zitat) Auf dem Gebiet der EDV und der Informationstechnik gehören zu den Tätigkeiten von Ingenieuren nicht nur die Entwicklung und Konstruktion von Hard- und Software. Die Tätigkeit eines Ingenieurs umfasst auch die Entwicklung von Betriebssystemen und ihre Anpassung an die Bedürfnisse des Kunden, die rechnergestützte Steuerung, Überwachung und Optimierung industrieller Abläufe, den Aufbau, die Betreuung und Verwaltung von Firmennetzwerken und -servern, die Anpassung vorhandener Systeme an spezielle Produktionsbedingungen und Organisationsstrukturen sowie die Bereitstellung qualifizierter Dienstleistungen, wie etwa Benutzerservice und Schulung. Informatik-Ingenieure arbeiten u.a. auch in der Netz- und Systemadministration, sie beurteilen die Leistungsfähigkeit von Rechnernetzen oder bewerten die Energieeffizienz bestehender Systeme (…).
… Für die tatsächliche Ausübung eines ähnlichen Berufs gilt nichts anderes. Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob eine vergleichbare Tätigkeit auch vorliegt, wenn die Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen nicht in jeder Hinsicht derjenigen eines Ingenieurs entspricht und welche Anforderungen in diesem Fall an die erforderliche Ähnlichkeit zu stellen sind. Der Kläger hat in seinem Beruf nach den insoweit bindenden Feststellungen des FG im Streitzeitraum Tätigkeiten entfaltet, die bei Anlegung der dargelegten Grundsätze für den Ingenieurberuf typische Tätigkeiten waren. … Der Kläger hat zwar insoweit die Systemsoftware nicht selbst entwickelt, seine Tätigkeit hat sich aber auch nicht auf die reine Installation beschränkt. Vielmehr hat er die Software den örtlichen Gegebenheiten angepasst. … Diese Tätigkeit ist der eines Ingenieurs vergleichbar, der ein technisches Werk zunächst konstruiert und das entwickelte Produkt später bei verschiedenen Kunden betriebsfertig installiert. (Zitatende)
Bundesfinanzhof: Urteil vom 22.09.2009 - VIII R 63/06 - Und noch ein Autodidakt:
(Zitat) Der Kläger war auf einem typischen Betätigungsfeld von Informatik-Ingenieuren, nämlich der IT-Projektleitung berufstätig. Bei den vom Kläger betreuten Projekten handelte es sich um hoch komplexe Datenverarbeitungsprojekte. Dabei ging es in erster Linie um die technische Realisierung der Vorhaben. Der Kläger hatte die technische Oberleitung der Arbeiten und die Verantwortung für die technische Realisierung. Dem FG-Urteil ist zu entnehmen, dass diese Aufgabe nur einer Person anvertraut werden konnte, die über besonders fundierte Fachkenntnisse und ein entsprechendes Fachwissen im Bereich der EDV verfügte. Der Kläger ist damit wie ein projektleitender Ingenieur tätig geworden (…).
b) Dass die vom Kläger geleiteten Projekte wegen ihres Umfangs und aufgrund ihrer Schwierigkeit von einem Team bearbeitet wurden, ist unschädlich. Freiberufliche Leistungen können grundsätzlich im Wege der Teamarbeit erbracht werden (vgl. BFH-Urteil vom 28. Oktober 2008 VIII R 69/06, BFHE 223, 206, BStBl II 2009, 642, m.w.N.). Die Anerkennung freiberuflicher Teamarbeit setzt voraus, dass der --eigenverantwortlich und leitend i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG tätige-- Projektverantwortliche neben Fachkenntnissen über weitere Fähigkeiten verfügt, die nicht auf fachlichem oder technischem Gebiet liegen. Dass von einem IT-Projektleiter oder einem Projektingenieur zusätzlich Managementleistungen und soziale wie kommunikative Fähigkeiten verlangt werden, macht ihn nicht zum Gewerbetreibenden. (Zitatende) Bundesfinanzhof: Urteil vom 22.09.2009 - VIII R 79/06
Eine Wissensprüfung hatte der Softwareentwickler abgelehnt. - Softwareentwickler als Gewerbetreibender:
(Zitat) Eine Einordnung als freiberufliche „ingenieurähnliche Tätigkeit“ (= dem Katalogberuf des Ingenieurs i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ähnliche Tätigkeit) setzt voraus, dass die Tätigkeit sowohl in der Ausbildung als auch in der beruflichen Tätigkeit mit der Ingenieurtätigkeit vergleichbar ist. Im vorliegenden Fall scheiterte es am „Ausbildungsvergleich“, da der Softwareentwickler nicht nachweisen konnte, dass er über ein Wissen verfügte, dass in Tiefe und Breite mit der Ausbildung eines Ingenieurs vergleichbar ist. Zunächst einmal steht unstreitig fest, dass der Softwareentwickler keinen förmlichen Berufsabschluss der Ingenieurswissenschaften hat. Er konnte allerdings auch nicht nachweisen, dass er sich ein entsprechendes Wissen im Selbststudium angeeignet hatte. Denn hierfür fehlte es insbesondere an entsprechenden Fortbildungsbelegen; auch das behauptete Durcharbeiten von 110 Fachbüchern schien dem Gericht unglaubwürdig. Ein ingenieurähnliches Wissen ergab sich schließlich auch nicht aus den vorgelegten Arbeitsproben, die das Gericht durch einen Sachverständigen hatte prüfen lassen. (Zitatende) FG München, Urteil vom 27.11.2012, 2 K 2146/10 - Softwareentwickler als Gewerbetreibender zum Zweiten:
Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat 2012 einen Softwareentwickler zum Gewerbetreibenden erklärt. Dies mag auch hier auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen gegenüber anderen Urteilen, doch bringt die Begründung näheren Aufschluss. Zitat: Zwar ist es laut OVG zutreffend, dass der Gewerbebegriff, der in der Gewerbeordnung nicht definiert ist, nicht erfüllt ist, wenn der Kläger einen sogenannten freien Beruf ausübt. Die dafür nötigen Voraussetzungen liegen jedoch überwiegend nicht vor. So mangelt es an einer hinreichenden Eigenverantwortlichkeit, an fachlicher Unabhängigkeit und einem Gemeinwohlbezug; auch ist für die Tätigkeit des Klägers objektiv kein Hochschulabschluss erforderlich. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Einkünfte des Klägers als freiberufliche Tätigkeit besteuert werden. (Zitatende) Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG), Urteil vom 16. Mai 2012 (7 LC 15/10)
Zur leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit verweise ich auf den letzten Absatz. - Ergänzend noch Rechtsprechung zur Programmierung:
Ein selbstständiger EDV-Berater, der Computer-Anwendungssoftware entwickelt, kann einem dem Ingenieur ähnlichen Beruf i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausüben (BFH Urteil vom 4.5.2004, XI R 9/03, BStBl II 2004, 989). Setzt allerdings der Katalogberuf eine qualifizierte Ausbildung voraus, reicht die Vergleichbarkeit der beruflichen Tätigkeit allein nicht aus. Der Stpfl. muss auch über in Tiefe und Breite vergleichbare Kenntnisse verfügen (BFH Urteil vom 18.4.2007, XI R 29/06, BStBl II 2007, 781). Ohne den Nachweis dieser Kenntnisse ist der Steuerpflichtige gewerblich tätig. Nach der neueren Rechtsprechung kann nicht nur Systemprogrammierung, sondern auch Anwendungsprogrammierung freiberuflich sein.
Fazit: Es wird deutlich, dass die Frage der Zugehörigkeit von Softwareentwicklern zu den freien Berufen nur über eine Einzelfallprüfung entschieden werden kann. Hier hilft die Abstimmung mit dem Finanzamt. Beachten Sie dabei bitte unbedingt: Akzeptiert das Finanzamt Ihre Dienstleistung als freiberuflich („selbstständig“ im Steuerdeutsch), ist damit keine förmliche Anerkennung verbunden. Eine Sicherheit für die Einstufung als Freiberufler im steuerlichen Sinne gibt nur die „verbindliche Auskunft“ des Finanzamtes, die mit hohen Anforderungen und auch mit Kosten verbunden ist.
Wenn Sie Mitarbeiter einstellen, so müssen Sie leitend und eigenverantwortlich tätig sein, um als Freiberufler zu gelten. Dies bedeutet, dass Sie die zur Berufsausübung erforderliche Urteils- und Entscheidungsfreiheit sowohl gegenüber den Auftraggebern als auch gegenüber Dritten erhalten müssen und an fachliche Weisung des Auftraggebers nicht gebunden sind (allgemeine Vorgaben sind natürlich nicht zu vermeiden). Die Eigenverantwortlichkeit verlangt nicht, dass Sie die vereinbarten Leistungen vollständig persönlich erbringen müssen. Sie können sich qualifizierter Mitarbeit bedienen, müssen dabei aber wiederum die Anforderung der leitenden Tätigkeit erfüllen: Eine steuerlich freiberufliche Dienstleistung erbringen Sie demnach nur dann, wenn die Ausführung des Auftrages Ihnen und nicht den fachlich Mitarbeitenden oder einem gemeinsamen Unternehmen als Ganzem zuzurechnen ist. Die Erfüllung dieser Kriterien sollte Ihnen möglich sein.
Quelle: Dr. Willi Oberlander M.A.
Unternehmensberatung
November 2017
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