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Software-Entwickler und IT-Berater: freiberufliche oder gewerbliche Tätigkeit?

Frage

Ich möchte mich als Software-Entwickler und IT-Berater selbständig machen und habe auch mein Gewerbe bereits angemeldet. Laut einer mündlichen Information des Finanzamts handelt es sich in meinem Fall allerdings um eine freiberufliche Tätigkeit. Daher wollte ich die Gewerbeanmeldung als irrtümlich zurückziehen. Der zuständige Bereich für Allgemeine Gewerbeangelegenheiten argumentiert mir gegenüber nun u.a. mit dem Urteil des OVG Lüneburg vom 16.05.2012, dass Software-Entwicklung kein Freiberuf ist, da keine wissenschaftliche Dienstleistung höherer Art ausgeübt wird. Ist es richtig, dass seit dem Urteil des OVG Software-Entwicklung grundsätzlich kein Freiberuf mehr ist? Wie muss ich damit umgehen, dass mir verschiedene Stellen unterschiedliche Einschätzungen geben? Oder anders gefragt: Welche der beiden Stellen ist die ausschlaggebende?

Antwort

Beginnen wir mit dem Grundsätzlichen: Warum können Finanzamt und Gewerbeamt zu (scheinbar) unterschiedlichen Beurteilungen kommen? Das folgende Urteil gibt hierzu Aufschluss: „Diese Qualifizierung im Einkommensteuerrecht hat für die gewerberechtliche Bewertung einer Tätigkeit als freiberuflich oder gewerblich wegen der fehlenden Übertragbarkeit der steuerrechtlichen Regelung auf die Gewerbeordnung keine Bindungswirkung. Die Terminologie des Steuerrechts ist nicht mit derjenigen des Gewerberechts identisch. Dies folgt insbesondere daraus, dass sich die Regelungszwecke der beiden Rechtsmaterien unterscheiden. Die Gewerbeordnung ist zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Wirtschaftsleben bestimmt, während es im Steuerrecht um fiskalische Ziele geht.“
Quelle: Bayerisches Verwaltungsgericht München, M 16 K 14.5250, Urteil vom 22. September 2015

Nun sehen wir uns das Urteil des OVG Lüneburg an: „Auch wenn der Kläger persönlich den Hochschulgrad ´Diplom-Wirtschaftsinformatiker (FH)´ erworben hat, kommt es auf seine individuelle formale Qualifikation nicht an. Entscheidend in dieser Hinsicht ist vielmehr, ob eine Tätigkeit als solche den Besuch einer Hochschule, Fachhochschule oder Akademie auch objektiv voraussetzt (Nds. OVG, Urt. v. 29.08.2007 - 7 LC 125/06 -, NdsVBl. 2008, 71<72>; OVG NRW, Urt. v. 29.03.2001 - 4 A 4077/00 -, DÖV 2001, 829 f.; Kahl, in: Landmann/Rohmer, GewO, Stand: September 2011, Einl. Rn. 68; Ziekow, a.a.O., § 10 Rn. 22; Ennuschat, a.a.O., § 1 Rn. 57). Dabei muss der Berufsträger nicht nur im Einzelfall, sondern grundsätzlich zur Erledigung der von ihm übernommenen Aufträge einer höheren Bildung bedürfen.“ Niedersächsisches OVG, Urteil vom 16.05.2012 - 7 LC 15/10

Ihr Hochschulabschluss in Mathematik ist hier vergleichbar. Es geht also um die konkrete Tätigkeit, die Sie dem Gewerbeamt gegenüber belegen müssen. Hierzu sagt die Rechtsprechung: „Eine ingenieurähnliche Tätigkeit setzt in diesen Fällen also voraus, dass sie in ihren wesentlichen Elementen dem Beruf des Ingenieurs gleichwertig ist, und zwar sowohl in der Theorie (Ausbildung, Kenntnisse, Qualifikation) als auch in der Praxis.“ BFH, Urteil vom 16. 9. 2014 – VIII R 8/12 und BFH, 22.04.2010 - VIII B 264/09.
und
„Eine freiberufliche Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG übt auch aus, wer einem dem Ingenieurberuf ähnlichen Beruf nachgeht. Der ähnliche Beruf muss dem Beruf des Ingenieurs sowohl hinsichtlich der erforderlichen Berufsausbildung als auch hinsichtlich der tatsächlich entfalteten Tätigkeit im Wesentlichen gleichen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BFH-Urteil vom 9. Februar 2006 IV R 27/05, BFH/NV 2006, 1270, m.w.N.).“ Bundesfinanzhof: Urteil vom 22.09.2009 – VIII R 79/06

Der BFH beruft sich hier auf die Datenbank „berufenet“ der Bundesagentur für Arbeit unter den Stickpunkten "Ingenieur - Elektrotechnik/technische Informatik" und "Ingenieurinformatik". Sie müssen also begründen und nachweisen, dass Ihre Tätigkeit nach Inhalten und Anforderungen regelmäßig auch von Dienstleistern ausgeübt wird, die über die genannten Abschlüsse verfügen.

Noch ein Urteil hierzu: „Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob eine vergleichbare Tätigkeit auch vorliegt, wenn die Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen nicht in jeder Hinsicht derjenigen eines Ingenieurs entspricht und welche Anforderungen in diesem Fall an die erforderliche Ähnlichkeit zu stellen sind. Der Kläger hat in seinem Beruf nach den insoweit bindenden Feststellungen des FG im Streitzeitraum Tätigkeiten entfaltet, die bei Anlegung der dargelegten Grundsätze für den Ingenieurberuf typische Tätigkeiten waren. … Der Kläger hat zwar insoweit die Systemsoftware nicht selbst entwickelt, seine Tätigkeit hat sich aber auch nicht auf die reine Installation beschränkt. Vielmehr hat er die Software den örtlichen Gegebenheiten angepasst. … Diese Tätigkeit ist der eines Ingenieurs vergleichbar, der ein technisches Werk zunächst konstruiert und das entwickelte Produkt später bei verschiedenen Kunden betriebsfertig installiert.“
Bundesfinanzhof: Urteil vom 22.09.2009 - VIII R 63/06

Hier noch ein Urteil zum IT-Berater: „Ein selbständiger EDV-Berater, der Computer-Anwendungssoftware entwickelt, kann einen dem Ingenieur ähnlichen Beruf i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausüben.“ BFH, Urteil vom 04.05.2004 – XI R 9/03

Gerichte ziehen häufig Sachverständige hinzu. Beispiel: „Ein ingenieurähnliches Wissen ergab sich schließlich auch nicht aus den vorgelegten Arbeitsproben, die das Gericht durch einen Sachverständigen hatte prüfen lassen.“ FG München, Urteil vom 27.11.2012, 2 K 2146/10

In der Datenbank „berufenet“ der Bundesagentur für Arbeit ist zum „Softwareentwickler“ nachzulesen: „In der Regel benötigt man eine Zertifizierung als Softwareentwickler/in oder ein abgeschlossenes Studium z.B. der Softwaretechnik.“

Zu der Frage, welche Tätigkeiten und Kompetenzen mit dem Beruf des Softwareentwicklers auf dieser Ebene verbunden sind, verweise ich auf „berufenet“ unter „Softwareentwickler“ zu „Tätigkeit“.
In der Rechtsprechung des OVG Lüneburg wird auch moniert, dass in der verhandelten Sache aus der Sicht des Gerichts insbesondere fachliche Unabhängigkeit und hinreichenden Eigenverantwortlichkeit nicht gegeben seien. Dies bedeutet, dass Sie die zur Berufsausübung erforderliche Urteils- und Entscheidungsfreiheit sowohl gegenüber den Auftraggebern als auch gegenüber Dritten erhalten müssen und an fachliche Weisung des Auftraggebers nicht gebunden sind (allgemeine Vorgaben sind natürlich nicht zu vermeiden). Die Eigenverantwortlichkeit verlangt nicht, dass Sie die vereinbarten Leistungen vollständig persönlich erbringen müssen. Sie können sich qualifizierter Mitarbeit bedienen, müssen dabei aber wiederum die Anforderung der leitenden Tätigkeit erfüllen: Eine steuerlich freiberufliche Dienstleistung erbringen Sie demnach nur dann, wenn die Ausführung des Auftrages Ihnen und nicht den fachlich Mitarbeitenden oder einem gemeinsamen Unternehmen als Ganzem zuzurechnen ist. Hier stellt sich die Frage, ob Ihr Gewerbeamt das zitierte Urteil vollständig zur Begründung herangezogen hat. Wenn Sie dessen Argumentation auch hier entkräften können, sind Sie auf einem guten Weg.

Schließlich moniert das Gewerbeamt nach Ihren Ausführungen, dass von Ihnen „keine wissenschaftliche Dienstleistung höherer Art ausgeübt wird“. Das müssen Sie auch nicht. Es genügt eine Tätigkeit, die eine „höhere Bildung“ erfordert. Sehen Sie hierzu den Auszug aus einem relevanten Urteil: „Als freiberuflich im gewerberechtlichen Sinne gälten wissenschaftliche, künstlerische oder schriftstellerische Tätigkeiten höherer Art o d e r Dienstleistungen höherer Art, die eine höhere Bildung, d.h. grundsätzlich ein abgeschlossenes Hochschul- oder Fachhochschulstudium erforderten und die persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig im Interesse des Auftraggebers und der Allgemeinheit erbracht würden.“ BVerwG Urteil v. 27.02.2013 - 8 C 7.12 (Die Sperrung ist von mir)

Langen Textes kurzer Sinn: Neben Ihrem relevanten Mastergrad muss Ihre Tätigkeit nach Anforderungen und Inhalten so gestaltet sein, dass sie in der Regel dem Leistungsniveau einschlägiger Hochschulabschlüsse entspricht (z.B. Diplom-Informatiker oder Software-Ingenieur).

Quelle: Dr. Willi Oberlander
Unternehmensberatung

Dezember 2020

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